Software und Strategien für den erfolgreichen Mittelstand

Strategisch gedacht, taktisch verpatzt, operativ gescheitert

Realität vieler ERP-Projekte

Quelle: Catalyso GmbH

ERP-Systeme bilden das Herzstück der betriebswirtschaftlichen IT eines Industrieunternehmens. Dieser Tatsache sind sich viele Unternehmenslenker bewusst und postulieren die strategische Bedeutung ihrer ERP-Projekte entsprechend. In der Praxis scheitern sie jedoch häufig, weil dem Postulat nicht die notwendigen taktischen und operativen Maßnahmen folgen.

Industrie 4.0

Jürgen Richter, Catalyso GmbH

Auch im Zeitalter von Industrie 4.0 bleiben ERP-Systeme das Rückgrat der betriebswirtschaftlichen IT jedes Unternehmens. In immer komplexer werdenden Systemlandschaften, in denen immer mehr Systeme ineinander- und zusammenspielen müssen, gewinnt ihre Rolle als Planungs- und Steuerungsinstrument sogar noch an Bedeutung. Hier laufen alle Fäden zusammen: Daten aus der Planung, dem Vertrieb, der Produktion, der Logistik, der Qualitätskontrolle, der Finanzwirtschaft und so weiter. Hinzu kommt eine stetig wachsende Zahl von Drittsystemen, mit denen Daten ausgetauscht werden.

Dabei handelt es sich sowohl um betriebswirtschaftliche und technische Daten interner Systeme, wie Maschinen- und Anlagendaten oder Planungs- und Konsolidierungsinformationen, als auch um Daten von externen Systemen. Der Datenaustausch geht längst über die inzwischen selbstverständliche EDI-Kommunikation hinaus hin zur wechselseitigen Versorgung der Geschäftspartner untereinander mit Logistikinformationen einschließlich geografischer Daten, technischen Informationen und Finanzinformationen. Moderne Infrastrukturen erlauben eine unmittelbare Datenübertragung oder Online-Kommunikation ohne Zeitverzug.

Neu und stetig anschwellend ist die Flut von Daten, die im Zusammenhang verarbeitet werden muss. Die Datenmenge verdoppelt sich in einem Zeitraum von rund anderthalb Jahren. Arbeitsweisen und Verfahren müssen sich dem anpassen. Das bedeutet, dass die Informationen nur dann wirksam verarbeitet, in Entscheidungen und Maßnahmen umgesetzt werden können, wenn dies hochgradig automatisiert erfolgt.

Intelligente Systeme

Voraussetzung dafür sind nicht nur intelligent arbeitende Systeme, die in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen, die deutlich über die Beantwortung von „Wenn-dann“-Fragen hinausgehen. Voraussetzung für deren erfolgreiche Implementierung ist auch, dass die Geschäftsprozesse an diese Gegebenheiten angepasst werden. Im Einzelfall kann dies bedeuten, dass komplette Strukturen neu definiert werden müssen. Das betrifft gleichermaßen Prozesse und Organisation. Nicht ohne Grund spricht man heute von disruptiven Auswirkungen der technologischen Entwicklung. Für Menschen bedeutet das oft einen Paradigmenwechsel und stellt sie vor teilweise immense Herausforderungen, aus denen sich nicht selten Existenzängste entwickeln, die zu Widerstand und Ablehnung führen.

Vor diesem Hintergrund ist es geradezu zwingend, ERP-Projekte von ihrer strategischen Dimension her zu betrachten und dementsprechend aufzustellen. Galt dies früher besonders für größere Firmen, so gilt das heute für alle Unternehmen, deren Herstellungsprozesse hochgradig industrialisiert und automatisiert ablaufen sollen. Tatsächlich postulieren viele Unternehmen zu Beginn die strategische Bedeutung eines ERP-Projekts. Doch was dann folgt, legt häufig schon im Ansatz die Axt an die Wurzeln des Erfolgs.
Oft zeigt sich das bereits an der personellen Ausstattung des Projekts. In der Regel gelingt es noch, eine einigermaßen geordnete Struktur des Projektteams zu definieren. Bei der Definition der Rollen und ihrer Besetzung zeigen sich dann jedoch oft signifikante Schwächen. Ein typisches Erscheinungsbild ist, dass sich Rollen nicht an den Geschäftsprozessen, sondern an funktionalen Gesichtspunkten orientieren. Hand in Hand damit geht einher, dass Prozessverantwortung an Mitarbeiter der IT übertragen wird.

ERP-Projekte sind ihrer Natur nach jedoch Geschäftsprojekte. Es gilt die Abläufe des Geschäfts abzubilden, und diese sind in keinem Fall deckungsgleich mit systemischen Funktionen. Geschweige denn ist die IT die richtige Adresse, um für die betriebswirtschaftlichen Prozesse verantwortlich zu zeichnen. Dies ist die Aufgabe der Verantwortlichen aus den operativen Bereichen, die ihr Geschäft kennen. Der IT kommt die Rolle des Dienstleisters zu – auch im Projekt.

Ressourcenverfügbarkeit

Ein weiteres typisches Manko ist die Ressourcenverfügbarkeit. Das gilt sowohl qualitativ als auch quantitativ. Die Verantwortung für die Gestaltung des künftigen Ablaufs unternehmenskritischer Prozesse gehört in die Hand von entscheidungsfähigen und führungsstarken Menschen, die deutlich mehr als die Prozesse in ihrem Zuständigkeitsbereich kennen. Sie müssen vom Unternehmen her denken können. Demgegenüber beherrscht oft Abteilungsdenken anstelle des „Blicks fürs Ganze“ des Geschehens. Den verantwortlichen Projektteammitgliedern muss zudem ausreichend Zeit zur Verfügung gestellt werden.

ERP-Projekte werden nicht einfach nach Feierabend oder als zusätzliche Fleißaufgabe erledigt. Sprich, die maßgeblichen Protagonisten müssen vom Tagesgeschäft weitgehend befreit sein, um sich voll und ganz auf das Projekt konzentrieren zu können. Was außerdem oft unterschätzt wird, ist der interne Aufwand, den ein Unternehmen zu betreiben hat, um ein ERP-System einzuführen. Dieser Aufwand übersteigt den des externen Implementierungsdienstleisters um ein Mehrfaches. Die Identifikation der richtigen Personen, sie zu motivieren und ihnen den erforderlichen Freiraum zu verschaffen, ist eine der wichtigsten Aufgaben im Rahmen der Vorbereitung eines ERP-Projekts. Das kostet Zeit. Zudem ist dies eine Führungsaufgabe, und das bedeutet gerade bei mittelständischen Unternehmen, dass die Geschäftsführung selbst die Speerspitze des Handelns bilden muss.

Neben der personellen Ausstattung des Projekts fehlen häufig die erforderlichen Rahmenvorgaben sowie eine klare Beschreibung des Projektgegenstands und -umfangs. ERP-Projekte werden oft vom Wunschdenken her bestimmt. Nicht abgestimmte Erwartungshaltungen aller Beteiligten sorgen dann mehr oder minder schnell für Sand im Getriebe. Da treffen Visionen auf operative Detailwünsche, die de facto nicht die Lösung des Problems sind, das im realen Ablauf tatsächlich besteht. Demgegenüber steht ein Implementierungsdienstleister, der dem gerecht werden soll. Der kennt jedoch meistens vor allem seine Software. Im Idealfall stellt er noch erfahrene Berater zur Verfügung. Mit der Auflösung von Konfliktsituationen sind die Projektbeteiligten schnell überfordert. Solche Konfliktsituationen können jedoch relativ einfach verhindert werden, indem das Projekt im Vorfeld klar umrissen wird.

Dazu gehört insbesondere eine aussagekräftige Beschreibung der Prozesse, die im Projekt behandelt werden sollen, des Softwareumfangs, der dazu zum Einsatz kommen soll und des „WAS“, nicht des „WIE“, das am Ende des Tages produktiv abzubilden ist. Diese Beschreibung muss für alle Beteiligten obligatorischen Charakter haben. Wichtig ist auch, dass sie vor Projektbeginn in einer verbindlichen Vereinbarung ihren Niederschlag findet. Dazu gehört auch die Dokumentation, wie mit Abweichungen im Zuge des Projektverlaufs umzugehen ist. In der Durchführung des Projekts ist ein entscheidender Faktor, dass die Einhaltung des Projektumfangs konsequent beachtet und durchgesetzt wird.
Dies sind natürlich nur einige essenzielle Grundlagenfaktoren, an denen der Erfolg von ERP-Projekten hängt. Die Beherrschung des Projekthandwerks sowie seine konsequente Anwendung sind ohnehin selbstverständlich. Die Hauptrolle spielen jedoch immer die Menschen und ihr Zusammenspiel. Gerade hier ist die laufende Rückendeckung durch die Führungskräfte des Unternehmens nicht nur, aber besonders in kritischen oder in Konfliktsituationen, entscheidend. Kapitale taktische Fehler, die bereits bei der Initiierung des Projekts gemacht werden, lassen sich im Laufe der operativen Umsetzung nur schwer ausbügeln.

Jürgen Richter

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