Software und Strategien für den erfolgreichen Mittelstand

Verantwortungsvolle Migration auf Cloud-Konzepte


Cloud-Umstieg darf nicht zu Wildwuchs führen

Sascha Köhler
Für Sascha Köhler ist „Governance“ das Schlagwort – egal ob für die Daten oder die Services

Governance“ und „Master Data Management“ – so lauten die Kurzformen der Empfehlungen, wenn Unternehmen den Schritt in die Cloud wagen. Denn es sind immer noch viele Kernanwendungen im traditionellen Modell – sprich On Premise – zu betreiben. Es gilt auf alle Fälle den Wildwuchs zu vermeiden – etwa wenn Fachabteilungen eine Schatten-IT in eigener Regie aufbauen.

 

Governance

Christian Horak
Für Christian Horak, Vice President Cloud Marketing bei der SAP AG, ist das Thema ‚Master Data Management‘ enorm wichtig.

Die IT-Verantwortlichen im Unternehmen haben hauptsächlich mit dem Betrieb der Altanwendungen zu tun, die Fachabteilungen „gehen fremd“ und besorgen sich Teillösungen in Form von eigenen Projekten – wie zum Beispiel eine CRM-Lösung im Modell Software as a Service. Dann stellt sich die Frage, wie sich alles sauber integrieren lässt – wie verläuft die Migration, ohne dass der bestehende Unterbau weg bricht?

Gefahr in Verzug – so ist die Antwort von Christian Horak, Vice President Cloud Marketing bei der SAP AG, zu deuten: „In vielen Unternehmen ist mittlerweile schon sehr viel weggebrochen – und da wird noch einiges auf uns zukommen. Zum Beispiel kümmern sich nur sehr wenige Firmen um das Thema ‚Master Data Management‘, obwohl dies enorm wichtig ist. Doch die Anwender fügen immer noch mehr dazu, packen es oben drauf – nach dem Motto das wird schon gut gehen. Dann kommt es zwangsläufig zum Zusammenbruch und nur mit aufwändigen Projekten und mit externer Hilfe lässt sich alles konsolidieren.“

Für Sascha Köhler, Software Architekt bei PROFI Engineering, ist „Governance“ das Schlagwort – egal ob für die Daten oder die Services. Damit könne man alles wieder gleichziehen und letztendlich standardisieren. Das bedingt eine hohe Disziplin von allen Beteiligten. Dies zu implementieren ist besonders bei gewachsenen Strukturen sehr aufwändig.

Governance ist gefragt

Doch Horak erweitert den Fokus: „Das betrifft nicht nur die Daten, sondern auch die Prozesse. Es ist ja toll, wenn ein  Vertriebsmitarbeiter zum Beispiel ein Tool verwendet, das jedem Vertriebler zeigt, wie viel Potenzial er in seiner Pipeline hat. Aber er weiß nicht, was diese Pipeline kostet – denn unter Umständen muss das Unternehmen etwas dafür einkaufen, Dienste bereitstellen, etc. Das kann dazu führen, dass eine Firma trotz guter Umsätze Verlust macht. Daher müssen die Daten über den gesamten Prozess bekannt sein, um eine qualifizierte Entscheidung treffen zu können.“

Freiheiten erarbeiten

Kurt Rindle, IBM
Kurt Rindle, Cloud Portfolio Leader bei IBM, plädiert für den pragmatischen Ansatz bei der Migration in die Cloud.

Für Kurt Rindle, Cloud Portfolio Leader bei der IBM, haben die IT-Verantwortlichen zu viel zu tun – sie müssen sehen, wie sie die Aufgaben gestemmt bekommen. Deswegen sieht er in der Automatisierung von Manufakturdiensten einen guten Ansatz – und das bietet die Cloud: „Wir sollten uns vom Technik-Cloud-Thema verabschieden. Die Aufgabe lautet vielmehr: Wie schaffe ich mir Freiräume, welche Aufgabenkann ich weg geben, die mir Zeit rauben und wie kann ich dann mit der gewonnenen Freiheit Innovation vorantreiben.“

Nach seiner Einschätzung wird sich der IT-Leiter um den Service kümmern, nicht mehr um die Systeme: „Der IT-Chef muss denken, wie sich die Lösungen in Zukunft darstellen. Aber dazu lautet der erste Schritt: Ich muss weg kommen von den Dingen, die mir Zeit rauben und dann kann ich eine Strategie entwickeln. Dann geht es um die Fragen, wie bekomme ich Anwendungen, die kleiner und agiler sind.“

Als typische Aufgaben in diesem Zusammenhang sieht er nicht nur die kleinen Dinge – wie etwa das Zurücksetzen von Benutzerkennwörtern im Helpdesk: „Das betrifft auch Aufgaben wie das Bereitstellen von Benutzerarbeitsplatzen. Das kann man mit einer Desktop-Cloud lösen, die ein Unternehmen zum Beispiel aus einer City Cloud bezieht. Das reduziert zum einen die Kosten und es geht für das Unternehmen auch kein Mehrwert verloren, wenn es diese Ressourcen selbst bereitstellt. Und wer es ganz elegant machen will, der kann dann auch gleich Anforderungen wie ‚mobiler Zugriff‘ mit abdecken. Die eigene IT-Abteilung konzentriert sich dann auf die IT-Aufgaben, die einen Mehrwert für das Unternehmen bringen.

IT-Verantwortliche in der Zwickmühle

Für Michael Korbacher, Head of Google Enterprise, befindet sich der IT-Verantwortliche bei der Migration in einer Zwickmühle – doch er sieht zwei Ansätze, wie das Dilemma zu lösen ist: „Es gibt CIOs, die auf Evolution setzen und andere, die eine komplette Revolution anstoßen. Ein Retail-Unternehmen aus den Niederlanden ist auf Google Apps umgestiegen – ohne Daten zu migrieren. Alle alten Zöpfe wurden abgeschnitten. Dazu gab es von der IT-Abteilung im Vorfeld des Umstiegs die Aussage: Möchte eine Fachabteilung ihre Daten migrieren, kostet das den Betrag ‚x‘. Daraufhin meldeten zu wenige Fachabteilungen Bedarf an – sie wollten die alten E‑Mails nicht mehr unbedingt mitnehmen. Daher ging das neue System ohne Altdaten an den Start. In der Regel werden die Altdaten jedoch migriert. Dieser Prozess lässt sich mitTools meist gut stemmen.“

Für den pragmatischen Ansatz bei der Migration in die Cloud plädiert Rindle: „Etwa 30 Prozent sind leicht zu migrieren
und das macht man dann auch. Ein derartiges Vorgehen ist vom Ressourcenaufwand her gut zu vertreten. Es wird aber immer noch Legacy-Applikationen geben – ein gutes Beispiel sind die seit zig Jahren totgesagten Mainframes. Transformieren oder wegwerfen – das muss von Fall zu Fall entschieden werden.“

Standardisierung

Ralf Adebar, NCT
Für Ralf Adebar, Projektmanager NCT Cloudcenter Lösungsplattform stellt sich die Frage, ob die Migration in die Cloud radikal machbar ist.

Dem pflichtet Horak bei: „Der IT-Verantwortliche steht letztendlich vor der Frage ‚mache ich es selber oder kaufe ich es dazu‘. Bisher war IT eine Fertigungsstraße. Doch oftmals passt die handgearbeitete Lösung bis zur Fertigstellung nicht mehr zum
aktuellen Bedarf, weil der Prozess zu lange gedauert hat.“ Daher müsse sich die Arbeitsweise der IT generell ändern
– so Korbacher: „Der komplette Software-Entwicklungsvorgang ist viel zu zeitaufwändig. Cloud-Systeme sind sofort verfügbar und unmittelbar nutzbringend. Allerdings muss man eingestehen, dass Innovation nicht immer mit Perfektion gleichzusetzen ist.“

Migrationsrisiko ist berechenbar

Allerdings sei das Risiko für die IT-Abteilung beim Einsatz von Cloud-basierten Lösungen gut zu berechnen: „Wenn man zum Beispiel tausend Benutzer auf Google Apps bringen will, kann man das mit dem Jahrespreis für das Modell abdecken. Danach bleibt noch die Möglichkeit, das weiter zu verbessern – sprich zu perfektionieren.“

Für Adebar trifft dieser Ansatz nicht so recht ins Schwarze: „In der Software-Architektur ist das Schichtenmodell wichtig. Denn in den Kernprozessen der Unternehmen werden viele Altlasten mitgeschleppt. Daher stellt sich immer die Frage, ob die Migration in die Cloud radikal machbar ist. Dabei darf man nicht nur die äußeren Schichten betrachten.“

Das sieht auch Köhler ähnlich: „Eine gewachsene Struktur lässt sich nicht so einfach verlagern. Es mag bei den Business-unkritischen Abläufen funktionieren. Doch viele Anwender denken gar nicht über eine Standardisierung nach, weil ihre Prozesse zu komplex sind. Sie unterscheiden sich vomWettbewerb durch ihre ganz spezielle Lösung, etwa ein selbst geschriebenes
Warenwirtschaftssystem. Sie können aber im Bereich der Collaboration durchaus auf Cloud Services setzen.“

Cloud passt nicht für alle Aufgaben

Diese Aussage unterstreicht Rindle mit eigenen Erfahrungen der IBM: „Die IBM hat bereits vor Jahren angefangen, die IT-Systeme im eigenen Haus zu untersuchen. Viele Dinge gingen danach in die Cloud – ein System aber nicht: SAP Blue Harmony wurde wieder auf ein Legacy-System migriert. Es dürfte das weltgrößte SAP-System sein – und es besitzt keine Cloud-Komponenten. Das ist auch bei vielen Kunden so – es gibt Systeme, die nicht über die Cloud funktionieren.“

Für Kiehne stellt sich die Sicht auf den Cloud-Einsatz anders dar: „Die Diskussion ‚was darf in die Cloud‘ wird nicht von Legacy bestimmt – es geht um Notwendigkeiten. Denn ein zweiter Punkt kommt dazu. Wenn der CIO die Vorgabe bekommt, dass er das Budget um 20 Prozent reduzieren muss, hilft ihm nur ein radikaler Ansatz – etwa das ERP-System in die Cloud zu legen.“ Das sieht auch Korbacher so: „Die Diskussion muss dort ansetzen,wo ich Freiräume bekomme.“

Rainer Huttenloher