Software und Strategien für den erfolgreichen Mittelstand

ERP/MES-Branchenlösung bei Präzisionsteilezulieferer eingeführt

ERP/MES-Lösung unterstützt Industrie 4.0

Amo-Tec-Geschäftsführer Bruno Hanselka; Quelle: Rüsing

Der Übergang zu Strukturen einer intelligenten Fabrik im Sinne von Industrie 4.0 verläuft evolutionär. Schon heute sind Merkmale einer intelligenten Fabrik in der Praxis zu finden. Allerdings bedeutet das auch, dass jede neue Automatisierungslösung unter dem kritischen Blickwinkel betrachtet wird, in welchem Ausmaß diese die Prinzipien von Industrie 4.0 umsetzt.

Besonders interessant wird es sein, wie sich in der Praxis die konventionellen IT-Lösungen zum Beispiel ERP/MES/CAQ, auf Industrie 4.0 einstellen oder den Gedanken mit fortentwickeln. Einen Zwischenbericht zeigt die Einführung der ERP/MES-Lösung beim Präzisionsteilezulieferer Amo-Tec.

Aufgabenstellung

Tobias Haugg, Leiter der Prozessentwicklung bei Amo-Tec am Dreh/Fräsautomat: „Über die Kombination BDE/MDE-Terminal/Prozessampel werden Vorgänge wie die Aufforderung zur nächsten Messung beim aktuellen Auftrag (SPC) oder anstehende Wartungen gesteuert. Ebenso erhält der Werker an der Prozessampel farblich dargestellte Informationen über die Produktivität seiner Maschine, zum Beispiel über den OEE-Wert, und über die aktuelle Qualität mittels des cpk-Werts.“ Quelle: Rüsing

Die Amo-Tec GmbH aus Erkheim im Allgäu fertigt mit fast 50 Mitarbeitern Präzisions-Lang- und Kurzdrehteile sowie Baugruppen, die zum weitaus größten Teil an Firmen in der Hydraulik/-Pneumatik- und Nutzfahrzeugindustrie, aber auch an Firmen der der Medizintechnik und der Textil- oder Elektrotechnik verkauft werden. Gegründet im Jahr 2006 als rechtlich komplett eigenständige Tochter der SFB – Schwäbische Formdrehteile, wurden zu Beginn alte Werkhallen der Gesellschafter in Babenhausen genutzt. Im Jahr 2014 erfolgte dann der Umzug in ein neues Fertigungswerk mit einer Produktionsfläche von 3400 Quadratmetern. Amo-Tec war gegründet worden, „weil SFB damals nicht ausreichend gute Zulieferer finden konnte“, so der Geschäftsführer Bruno Hanselka, der in Personalunion auch Mitglied der Geschäftsleitung bei SFB ist. Die anfänglich große Abhängigkeit zu SFB wurde in der Krisenzeit 2008/09 der Not gehorchend mit neuen Branchen und Kunden diversifiziert, so dass künftig nur noch etwa ein Drittel der Ausbringung an SFB gehen soll.

Das junge Unternehmen hat noch flache Hierarchien und einen Pioniergeist, der bei Problemen auch unkonventionelle Lösungen in Teamarbeit zulässt. Trotzdem erforderten das schnelle Wachstum – es wurde praktisch innerhalb des ersten Produktionsjahres eine Anzahl von fast 40 Mitarbeitern erreicht – und der hohe Anspruch an die Qualität der Produkte eine genaue Planung mit klaren Strukturen und Fertigungsprozessen. „Wir haben zu Beginn in der Fertigungsplanung und -steuerung noch viel mit Excel und einer abgespeckten Version des ERP-Systems der Mutter gearbeitet. Es stellte sich aber schnell heraus, dass für uns als kleine, flexible Firma mit kurzen Reaktionszeiten das alte ERP viel zu schwerfällig war. Deshalb haben wir uns kurzerhand für eine neue, umfassende ERP-Branchenlösung für Präzisionsdrehteile von GEWATEC entschieden“, meint Bruno Hanselka zurückblickend auf die Anfangszeit.

Eingeführt wurde die ERP-Lösung mit nur vier Monaten Vorlaufzeit bereits im Jahr 2008. „Die Auswahl und die Einführung gingen auch deshalb so sportlich über die Bühne, weil uns GEWATEC bereits bei SFB ein Begriff war“, erläutert der Geschäftsführer. Spontan überzeugt habe nach seinen Worten der ganzheitliche Ansatz der Lösung, in der alle Bereichsmodule in einem integrierten ERP-System auf der Grundlage einer einheitlichen Datenbasis interaktiv zusammenarbeiten. Gerade für Drehteilehersteller wie Amo-Tec sei es wichtig, dass so entscheidende Bereiche wie BDE/MDE oder CAQ nicht über separate und durch Schnittstellen angebundene Systeme gesteuert werden. Denn das bedeute immer Streuverluste, zum Beispiel bei einer in Echtzeit notwendigen Erfassung, Analyse und Darstellung der Fertigungsinformationen, die über Schnittstellen eben langsamer und nicht immer fehlerfrei liefen, bei einer effizienten Systemadministration, bei der Schulung von Anwendern auf verschiedenen Systemen, bei der Release-Fähigkeit etc., und es erhöhe damit die Kosten. Nicht zuletzt gebe es bei Problemen nur einen einzigen Ansprechpartner.

Neben der Ganzheitlichkeit der Lösung war ein weiterer wesentlicher Punkt, dass die GEWATEC-Berater bereits bei den ersten zwei Präsentationen fachlich überzeugt haben. „Hinzu kam“, so Tobias Haugg, Leiter der Prozessentwicklung, „dass es von Beginn an zwischen den Beratern und unseren Mitarbeiter eine gemeinsame Kommunikationsebene gab, was sich auf das gesamte Klima der Zusammenarbeit ausgewirkt hat. Ein Grund dafür war, dass uns nicht nur ein klassischer ITler die ERP-Prinzipien vermittelt hat, sondern dass dieser gleichzeitig ein gelernter Zerspaner war, der unsere Welt der Präzisionsdrehteile versteht.“ Die gute Zusammenarbeit gelte bis heute und habe einen mehr partnerschaftlichen denn einen Kunden-Lieferanten-Bezug.

Die Einführung verlief „problemlos“. Auch wenn die Firma nicht nach der Software ausgerichtet wurde, konnten dennoch viele Prozesse aus dem Standard des ERP übernommen werden, weil sie „für unsere Strukturen schon optimal angelegt“ waren. Andererseits hatte GEWATEC nach den Worten des Prozessentwicklungsleiters im Rahmen des Systems auch die Flexibilität, firmenspezifische Geschäfts- und Produktionsprozesse ohne Weiteres abzubilden.

Projektumfang

Mit der Fertigungssteuerung von GEWATEC kann Amo-Tec sowohl eine Kanban-Fertigung wie auch eine Just-in-Sequence-Anlieferung ans Band des Kunden bereitstellen. Quelle: Amo-Tec GmbH

Installiert wurde das GEWATEC-ERP/MES mit den Modulen WinKalk (Kalkulation), PPS, KapPlan (Leitstand zur Kapazitätsplanung), GRIPS (CAQ), ProVis (BDE/MDE), Produktionsmittelmanagement (PMS) und Dokumentenverwaltung. Da die Lösung modular aufgebaut ist, kann jeder Anwender die Funktionalitäten nach seinen Bedürfnissen auswählen, und eine spätere Erweiterung ist jederzeit möglich.

So sollen bei Amo-Tec als Nächstes die DNC-Programmübertragung an die BDE/MDE-Terminals und die Energiemanagementfunktionen des GEWATEC-Systems zur Unterstützung der angestrebten Zertifizierung nach der Umweltmanagementnorm DIN EN ISO 14001 eingeführt bzw. genutzt werden. Heute steuern die Werker über gut 30 Arbeitsstationen (PCs und die von GEWATEC selbst entwickelten und hergestellten BDE/MDE-Industriemaschinenterminals) eine Dreischichtfertigung (sechs Tage pro Woche) mit kleinen bis mittleren Serien (maximal 500.000 im Jahr). 

Die Integration innerhalb der IT-Module und die Integration zwischen Planungs- und Produktionsebene sowie zwischen Werkstück, Maschine, IT und Werker gelten als Voraussetzungen für eine intelligente (smarte) Fabrik oder Industrie 4.0 (I-4.0). In diesem Sinne sind bereits konkrete Umsetzungen von I-4.0 in der Praxis zu finden, die sich aber auch im Zuge der nicht aufzuhaltenden Digitalisierung kontinuierlich und manchmal sicher auch sprunghaft weiterentwickeln werden. Beispiele für I-4.0-Grundfunktionalitäten sind die Online-Rückmeldung von Fertigungsdaten (zum Beispiel Auftragsfortschritt oder Qualität) oder Fertigungsstörungen (zum Beispiel Werkzeugbruch) in Echtzeit sowie die automatische Steuerung von Prüfintervallen und Wartungen.

„Ein Kernmodul ist für uns ProVis mit den BDE/MDE-Terminals an den Maschinen. Wenn man das so sagen kann, dann nutzen wir das am intensivsten. Aber erst im integrierten Zusammenspiel mit dem PPS, der Kapazitätsplanung, der laufenden Nachkalkulation oder anderen Auswertungen, wie zum Beispiel CAQ, kann der volle Wert der Daten entschlüsselt werden“, erklärt Tobias Haugg. Die MDE/BDE-Einführung wurde von den Werkern zu Beginn mit Argusaugen verfolgt, aber es sei schnell klar geworden, dass es nicht um eine Überwachung des Werkers, sondern um eine Überwachung der Fertigung geht. Zudem hat das BDE/MDE für den Werker auch handfeste Vorteile. So kann er heute etwaige Stillstandgründe wie Rüsten, Werkzeugwechsel/-bruch, Wartungen oder einen technischen Defekt der Maschine direkt am Terminal melden, damit sie der Schichtleiter sofort im Laufzeitdiagramm auf seinem Leitrechner hat. Generell gelangen die Auftragsdaten per Barcode und RFID ins System. Die gefertigten Teile erfassen die Maschinenterminals Stück für Stück automatisiert mittels eines Signals direkt von der Maschine.

Eine weitere innovative Idee wurde speziell von den Werkern mit angeregt. Der MDE/BDE-Leitstandrechner zeigt grafisch alle Maschinen nach Produktgruppen geordnet. An jeder Maschine ist nicht nur über ein Ampelsymbol der Status der Maschine (grün – rot) zu sehen, sondern – da die Daten in Echtzeit erfasst werden – auch der aktuelle Auftragsfortschritt (Stückzeit, Reststückzahl, Störgründe etc.). Jeder Werker betreut gleichzeitig mehrere Maschinen. Damit er den Status ständig im Blick haben kann, wird jetzt das Bildschirmsignal des MDE/BDE-Leitstandrechners per Beamer für alle sichtbar hoch oben an eine weiße Wand der Werkhalle projiziert. So kann der Werker sich zwischen Werkhalle und Lager etc. relativ frei bewegen und trotzdem bei Problemen sofort reagieren.

Von Vorteil ist die Beamer-Lösung auch für die Geschäftsführung, die bei Betreten der Werkhalle sofort einen Überblick über den Zustand der Fertigung erhält. Vervollständigt wird der schnelle Überblick durch die KVP-Tafel (KVP = kontinuierlicher Verbesserungsprozess oder Kaizen), an der unter anderem der sogenannte Produktionsfilm aushängt. Der Produktionsfilm, eine spezielle Auswertung aus ProVis, zeigt von jeder Maschine die Historie der Produktions- und Stillstandzeiten der letzten drei Schichten nebeneinander dargestellt, „so dass man mit einiger Erfahrung sofort erkennt, wann Geld verdient wurde und wann nicht“.

Ein Online-Überblick über die Fertigung ist mittlerweile auch per Smartphone oder Tablet eingerichtet. Dazu wurde der ProVis Mobile Client installiert, der eine abgespeckte Version des aktuellen ProVis-Leitstandbildschirms liefert. All diese Hilfsmittel sind speziell wichtig sowohl für den Produktionsleiter, der im Normalfall nicht bei der Nachtschicht vor Ort ist, als auch für den Geschäftsführer, der weitere Führungsaufgaben bei SFB innehat, so dass seine Zeit bei Amo-Tec begrenzt ist.

„Mobile MDE/BDE-Bildschirm“

Das Bildschirmsignal des MDE/BDE-Leitstandrechners wird für alle sichtbar per Beamer an die weiße Werkhallenwand projiziert. Damit hat jeder Werker nicht nur „seine“ Maschinen immer im Blick, sondern auch die seiner „Konkurrenz“. Quelle: Amo-Tec GmbH

Das kurzfristige Reagieren von Werker und Geschäftsführung auf Erreichen von Fertigungskennzahlen oder auf unerwartete Störungen in der Fertigung ist eines der Merkmale, die im Zusammenhang mit I-4.0 entscheidend sind. Es unterstützt neben den bereits genannten drei Verfahrenslösungen (Beamer, Produktionsfilm und mobile Endgeräte) auch die sogenannte Prozessampel von GEWATEC, mit der der Typ IC901 des MDE/BDE-Terminals ausgestattet ist.

Die Prozessampel zeigt auf vier Signalebenen dem Werker jeweils in den Ampelfarben den Zustand bzw. die Grenzwerte für die OEE (Overall Equipment Effectiveness/Gesamtanlageneffektivität), den cpk-Wert (statistischer Wert der Prozessfähigkeit), die Aufforderung zur SPC-Messung und mit der untersten Leuchte einen Hinweis zum Werkzeugwechsel an. Damit kann der Werker auf Basis der Online-BDE/MDE-Datenauswertung auf einen Blick erkennen, wenn bei der Leistungsfähigkeit der Maschine oder in der Qualität des Prozesses Änderungen auftreten (gelbe Ampel), und somit frühzeitig Maßnahmen einleiten. Ebenso wird er so an die anstehende SPC-Messung und den Werkzeugwechsel erinnert.

„Ein Qualitätsmanagement in der heutigen Form war vor GEWATEC nicht möglich“, berichtet Tobias Haugg. Die Erstellung und Verwaltung der Prüfpläne habe sich wesentlich vereinfacht. Norm- und kundenspezifische Prüfmerkmale und -intervalle für das SPC sind im System hinterlegt. Die Daten nahezu aller Messmaschinen und Messmittel gehen direkt ins CAQ-Modul ein. Auch die Wareneingangsprüfung, die Messmittelverwaltung und das Reklamationsmanagement werden über GRIPS abgewickelt. Das CAQ war auch ein wichtiger Bestandteil der QS-Zertifizierung und garantiert heute (natürlich im Zusammenspiel mit PPS, BDE etc.) die für die Zertifizierung und den Regress wichtige Rückverfolgbarkeit der Fertigungs- und Qualitätsdaten aller Fertigungsstufen oder eines Zulieferteils bis zum Rohmaterial.

Geschäftsführer Bruno Hanselka zeigt sich mit dem jetzigen Stand der ERP-Installation „in summa mehr als zufrieden“. Beeindruckt habe ihn vor allem die MDE/BDE-Lösung. „Da ist GEWATEC besonders gut.“ Und weil er als Geschäftsführer an mehreren Standorten aktiv ist, sei es für ihn unerlässlich, immer den Überblick darüber zu haben, wo die Firma aktuell steht, auch wenn er nicht vor Ort ist. Das werde mit der GEWATEC-Lösung sichergestellt. Sie habe eine große Transparenz in den gesamten Fertigungsprozess gebracht, und das nicht nur für die Geschäftsführung, sondern für alle Mitarbeiter.

Eduard Rüsing

ist freier Fachjournalist in Karlsruhe.

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