Software und Strategien für den erfolgreichen Mittelstand

Im Interview: Wilfried Gschneidinger, CEO IFS Europe Central

„Nicht alle Industrie-4.0-Daten werden auch im ERP-System benötigt“

Wilfried Gschneidinger, CEO IFS Europe Central; Quelle: IFS

Digitalisierung der Unternehmen – so lautet das Schlagwort für die anstehende Transformation. Doch wie muss ein ERP-System gebaut sein, um hier keine Bremse darzustellen? Und welche Daten sind für die Unternehmensprozesse in Hinblick auf den Einsatz von Industrie 4.0 relevant? Antworten auf diese Fragen gab Wilfried Gschneidinger, CEO IFS Europe Central, dem Midrange Magazin (MM).

Das Thema „Prognosefähig durch ERP“ spielt für Gschneidinger eine große Rolle. Nach seiner Ansicht bedeuten neue Daten potenziell auch neues Wissen. Die große Herausforderung sei es, die enorme Daten- und Informationsflut mit vertretbarem Aufwand auszuwerten, so dass Unternehmen sie unmittelbar für ihr Geschäft ‚produktivierbar‘ machen können. Für Echtzeitanalysen in den ERP-Systemen biete das In-Memory-Computing große Chancen, denn es ermögliche sehr schnelle Auswertungen und ein Reporting in hoher Geschwindigkeit.

Effizientere Prozesse

MM: Wie sieht in Ihren Augen das ERP-System der Zukunft aus?
Gschneidinger: Industrie 4.0 wird künftig ein geschäftskritisches Unterscheidungsmerkmal sein. Sensoren, beispielsweise für Maschinen oder Anlagen, sind immer kostengünstiger zu haben, und das Internet bietet ihnen die Möglichkeit zu kommunizieren. Die breite Masse an Unternehmen hat dadurch die Chance, effizientere Prozesse zu realisieren und ihren Kunden dadurch innovative und flexible Services zu bieten. Um diese Möglichkeiten nutzen zu können, muss die Welt der Geräte und Sensoren aber mit der Welt der Unternehmenssoftware integriert werden. Für das ERP-System der Zukunft bedeutet das, dass es eine solche Integration auf effiziente Weise unterstützen muss, um die Automatisierung der Geräte, Maschinen oder Anlagen bestmöglich zu unterstützen.

MM: Industrie 4.0 bringt viel mehr Informationsobjekte in die Gleichung ein. Welche Voraussetzungen muss ein ERP-System mitbringen, um die gestiegenen Datenmengen und die zusätzlichen Abläufe im Unternehmen zu beherrschen und zu unterstützen?
Gschneidinger: Unter den zahlreichen Informationen, die Industrie 4.0 generiert, sind auch neue Datentypen, die von Sensoren und Geräten erzeugt werden. Ein ERP-System muss deshalb mit einem breiten Spektrum unterschiedlichster Datentypen und -formate umgehen können. Generell gilt aber: Nicht alle Daten, die Industrie 4.0 generiert, werden auch in der Unternehmenssoftware benötigt. Darum ist es für ERP-Systeme ganz entscheidend, sich in IT-Architekturen einbinden zu lassen, die die Erfassung, Speicherung und Filterung der Daten ermöglichen. Nur dann ist sichergestellt, dass lediglich diejenigen Informationen ins ERP einfließen, die dort beispielsweise für das Anstoßen von Aktivitäten benötigt werden, oder dass Sensordaten in der Unternehmenssoftware den richtigen Businessobjekten zugeordnet werden.

MM: Welche Vorkehrungen sollte ein ERP-System heute schon in puncto Mobilzugriff mit sich bringen, um hier zukunftssicher zu sein?
Gschneidinger: Mobilität im ERP-Umfeld ist mittlerweile Normalität. Ein ERP-System muss deshalb mobile Anwendungen, die kosteneffektiv implementiert und gepflegt sowie intuitiv bedient werden können, bereits in seinen Standardprozessen zur Verfügung stellen. Nur somit ist ein nachhaltiger, weiterer Ausbau der mobilen Prozesse im Unternehmen sichergestellt.

Frage nach den GUIs

MM: Was bedeutet das für die grafischen Benutzer-Interfaces?
Gschneidinger: Die grafische Benutzeroberfläche eines ERP-Systems sollte so aufgebaut sein, dass sich für konkrete Rollen oder Prozesse maßgeschneiderte Sichten auf die ERP-Daten einrichten lassen. Jeder individuelle Nutzer muss die Möglichkeit haben, alle Informationen, die für seine spezifischen Aufgaben nötig sind, übersichtlich auf einen Blick zu erhalten – egal, ob er gerade einen Desktop-PC, ein Tablet oder ein Smartphone nutzt.

MM: Wie lässt sich Sicherheit beim Mobilzugriff für die ERP-Daten erzielen?
Gschneidinger: Um die lokal auf den Smartphones oder Tablets gespeicherten Informationen zu sichern, empfiehlt sich der Einsatz von Mobile-Device-Management-Lösungen. Sie können erzwingen, dass sich die Benutzer mit PIN-Code an ihren Geräten anmelden müssen und ermöglichen außerdem, Daten per Fernzugriff zu löschen. Um Daten zu sichern, die über das Internet ausgetauscht werden, sollten diese so verschlüsselt werden, dass sie nicht ohne weiteres gelesen und interpretiert werden können. Zertifikate können außerdem dafür sorgen, dass nur autorisierte Personen Datenzugriff erhalten. Darüber hinaus sollte die Infrastruktur so ausgerichtet sein, dass keine Passwörter oder sensiblen Daten in der Cloud gespeichert werden.

MM: Welche Rolle wird ERP-Software aus der Cloud oder als Software-as-a-Service künftig spielen?
Gschneidinger: Dabei handelt es sich um moderne Bereitstellungs- und Abrechnungsmodelle, die dazu beitragen können, den ERP-Betrieb flexibler und effizienter zu gestalten. Rechtliche Fragen, die vor allem den Datenschutz und die Datensicherheit betreffen, rücken das Konzept Business-Software aus der Cloud immer wieder in ein negatives Licht.

MM: Wie wird sich das beim ERP-System der Zukunft darstellen – gibt es dann noch den On-Premise-Einsatz auf breiter Front?
Gschneidinger: Cloud Computing hat unbestreitbare Vorteile, deshalb bieten wir IFS Applications auch zur Nutzung aus der Microsoft Azure Cloud an. In Deutschland, Österreich und der Schweiz sehen wir allerdings bisher den Trend, dass Unternehmen maximal unkritische Daten in die Cloud auslagern. Geht es um geschäftskritische Informationen, wie zum Beispiel ERP-Daten, sind zumindest mittelständische Unternehmen in dieser Hinsicht bislang noch sehr zurückhaltend. Die anhaltenden Diskussionen über die NSA-Aktivitäten und ähnliche sicherheitsrelevante Themen sind natürlich dem Zutrauen in diese neuen Welten sehr abträglich. Für die DACH-Region ist deshalb bis auf weiteres ein On-Premise-Einsatz auf breiter Front nicht zu erwarten.

Prognosefähigkeit

MM: „Prognosefähig durch ERP“ – wie lässt sich das erreichen?
Gschneidinger: Neue Daten bedeuten potenziell auch neues Wissen. Die große Herausforderung ist es, die enorme Daten- und Informationsflut mit vertretbarem Aufwand auszuwerten, so dass Unternehmen sie unmittelbar für ihr Geschäft ‚produktivierbar‘ machen können. Für Echtzeitanalysen in den ERP-Systemen bietet das In-Memory-Computing große Chancen, denn es ermöglicht sehr schnelle Auswertungen und ein Reporting in hoher Geschwindigkeit. Darüber hinaus bietet es die Möglichkeit, Datenvisualisierungen und -analysen direkt in die Prozesse der ERP-Software zu integrieren und somit die Transparenz auf allen Ebenen eines Unternehmens zu erhöhen.

MM: Wie lässt sich In-Memory-Computing im ERP-Umfeld kosteneffizient einsetzen?
Gschneidinger: Das In-Memory-Computing erfordert natürlich hohe und kostenintensive Arbeitsspeicherkapazitäten. Um den Bedarf hierfür so gering wie möglich zu halten, sollte ein ERP-System deshalb idealerweise eine intelligente und maßgeschneiderte Lösung bieten. Anstatt die komplette Datenbank permanent im Arbeitsspeicher vorzuhalten, sollte In-Memory-Computing nur in den ERP-Bereichen zum Einsatz kommen, in denen es seinen größten Nutzen entfalten kann. Die Masse der übrigen Daten kann auch weiterhin problemlos auf kostengünstigen Festplatten verbleiben.

Rainer Huttenloher